Urbane Autolobby IHK

Ein neuer Ort für Begegnung, Verweilen, Gespräche, ausruhen, genießen. So viel kostbarer als zwei Parkplätze.Foto: Stefanie Ingwersen, Stadt Marburg.jpg
Ein neuer Ort für Begegnung, Verweilen, Gespräche, ausruhen, genießen. So viel kostbarer als zwei Parkplätze.Foto: Stefanie Ingwersen, Stadt Marburg.jpg

In fast allen Städten bekämpft die IHK die Verkehrswende. Mehr Lebensqualität durch weniger Autoverkehr? Da geht der Wirtschaftsverband nicht mit. Das sagen die Vertreter natürlich nicht so direkt. Es heißt dann eher: Grundsätzlich finden wir das gut und richtig. Aber es darf nicht zum Schaden für DIE Wirtschaft sein. DIE Wirtschaft? Was ist damit eigentlich gemeint? Und da wird es spannend. 


In den Städten sind meist die Einzelhändler der Innenstadt gemeint. Deren Interessen vertritt also die IHK. Dachte ich. Bis ich mal mit einem Händler gesprochen habe, vor dessen Geschäft wir ein sogenanntes Stadtmöbel aufbauen wollten.


Damals war ich noch Ratsherr in Osnabrück. Also ehrenamtlicher Kommunalpolitiker. Ich habe den Weinhändler in seinem Geschäft besucht, mental klar auf Ablehnung vorbereitet. Er würde argumentieren, dass gerade seine Kunden aufs Auto angewiesen seien, um den Wein am Geschäft abzuholen.


Tatsächlich war es ganz anders. Er war ganz begeistert von der Idee. Das sei viel schöner als zwei Autos vor dem Geschäft. Sein Laden sei durch das Stadtmöbel deutlich sichtbarer. Wenn Leute vor dem Geschäft sitzen würden, mache das auch auf sein Geschäft aufmerksam, verbreite eine positive Atmosphäre.


Und die Parkplätze? Kein Problem: „Da parkt fast nie ein Kunde“. Die sind ja nicht für sein Geschäft reserviert. Es käme äußerst selten vor, dass sein Kunde just vor seinem Geschäft den Wagen abstellen kann. Statt der Parkplätze wollte der Händler lieber einen Parkplatz für Lieferdienste haben.


Nun ging ich zu den anderen Geschäften in der Straße. Überall dieselbe Antwort. Alle hätte lieber Sitzgelegenheiten vor dem Geschäft als Parkplätze. Die Fahrradhändlerin würde gerne einige Räder dort hinstellen, ebenfalls um auf sich aufmerksam zu machen. Redet die IHK nicht mit ihren Mitgliedern?


In München ein ähnlicher Fall bei der Umgestaltung der Lindwurmstraße, eine der meist befahrenen Straßen innerhalb des Mittleren Rings. Besonders Radler wurden dort oft von Pkws angefahren. Nun soll in jede Richtung eine Spur zugunsten des Rad- und Fußverkehrs entfallen. Knapp die Hälfte der 400 Parkplätze werden aufgegeben, ausreichend Lieferzonen sind geplant.


Die IHK lehnt das natürlich radikal ab und ebenso diverse Händler. Aber auch hier ist die Ablehnung nicht so eindeutig, wie der Verband es darstellt. Er vertritt nicht DIE Wirtschaft. Ausgerechnet ein bekannter Autohändler ist Befürworter des Projektes.

 

Er sieht, wie über die Jahre der Fuß- und Radverkehr zugenommen hat und hält die Erweiterung der Rad- und Fußwege für richtig. Er freut sich zudem, dass die Gastronomie mehr Raum im Außenbereich bekommt.


Aber auch ihn hat die IHK nicht gefragt, bevor sie sich beim Oberbürgermeister beschwert hat. Es geht offenbar ums Prinzip und nicht um die Sache und schon gar nicht um die Lebensqualität der Anwohner und offenbar auch nicht um die verletzten Fußgängerinnen und Radfahrer.