Das Wunder von Gent

Wir waren diesen Sommer in der Normandie. Auf dem Weg dorthin haben wir einen Zwischenstopp in belgischen Stadt Gent gemacht. Gent ist in der Verkehrspolitik ja sehr berühmt geworden. Und nach einem tollen Vortrag des Verkehrsdezernenten von Gent, Filip Watteeuw, wollte ich mir das mal vor Ort angucken. Der Dezernent hat nicht nur die Verkehrspolitik hervorgehoben, sondern auch wie wunderschön Gent sei, und man solle sich unbedingt die Stadt ansehen. Stimmt!

Wir haben in einiger Entfernung vom Zentrum unseren Wagen abgestellt und sind dann mit dem Fahrrad reingefahren und wurden Zeuge einer mutigen Verkehrsplanung. Die Innenstadt war unfassbar ruhig, weil man im Jahr 2017 ein – für deutsche Verhältnisse – unglaubliches Projekt umgesetzt hat.

Nach einer Vorbereitung von etwa zwei Jahren, hat die Verwaltung innerhalb eines Wochenendes durch neue Markierungen, Schilder und Begrenzungspoller dafür gesorgt, dass die Genter Innenstadt innerhalb kürzester Zeit zur größten autofreien Zone Europas wurde.

Das Zentrum ist von sechs Zonen umgeben. Um in eine andere Zone zu gelangen, muss man die Ringstraße außerhalb der Stadt nutzen. Direkte Fahrten zwischen den Zonen sind nur für Busse, Taxen und Einsatzfahrzeuge möglich. Man hat die Innenstadt vom Durchgangsverkehr befreit, dieser hat sich auf die Ringstraße verlegt.


Der Weg dorthin war beschwerlich. Es gab viele Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Der Verkehrsdezernenten hat berichtet, dass er in der zweijährigen Planungszeit beschimpft und einmal sogar geschlagen wurde. Die Einzelhändler und Gastronomen waren skeptisch. Viele wollten die Umsetzung der Pläne verhindert.

Aber ein halbes Jahr später wollte niemand den alten Zustand zurück. Die Lebensqualität hat sich in einem unvorstellbaren Ausmaß verbessert, zudem die Sicherheit und Luftqualität.

Solche Projekte sind in Deutschland zumeist vor Gericht an der Straßenverkehrsordnung gescheitert. Immer wieder wurde auf fehlende „qualifizierte Gefahrenlagen“ verwiesen, was so viel heißt, Tote und Verletzte müssen eine spezifische Ursache haben. Außerdem durfte die Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden. Klimaschutz spielte als Begründung keine Rolle.

Die viel kritisierte Ampelregierung hat eine tolle Reform auf den Weg gebracht. Seit Oktober 2024 können Gemeinden weitreichende Anordnungen aus Gründen des Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutzes für ihre städtebauliche Entwicklung durchsetzen. Diese Anordnungen haben keine konkrete Gefahrenlage für die Sicherheit des Verkehrs als Bedingung. Ihre Umsetzung darf nur nicht zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Verkehrs führen. Zudem ist es nun unter anderem leichter Tempo 30 Zonen oder Busspuren einzurichten.
Als diese Reform, leicht abgewandelt, vom Bundesrat bestätigt wurde, konnte ich es noch kaum fassen. In den nächsten Jahren werden wir sehen, dass trotz aller Widrigkeiten, - nicht zuletzt einer Bundesregierung, die beim Klimaschutz eine Vollbremsung eingeleitet hat, - wie es in den Städten und Gemeinden mit der Verkehrswende besser, leichter vorangeht.