Moralisch korrekt!?

In dieser Woche sprach ich mit einem Freund aus Marburg über Ethik und Moral in der Klimaschutzdebatte. Es sei richtig, über das »richtige« Verhalten nachzudenken, es zu reflektieren. Aber es einzufordern, also zu moralisieren, sei falsch.


Auslöser war meine Anmerkung, dass eine Freundin zwei Untermieter in ihrem Einfamilienhaus hat, weil sie der Meinung war, so viel Platz für eine Person, sei unangemessen. Dafür muss sie viele Kompromisse eingehen, insbesondere ihre Küche teilen. Und sie stellt den Mitbewohnern auch das Wohnzimmer für die gemeinsamen Nutzung zur Verfügung.

 

Keine Frage, das ist eine Superstrategie gegen Einsamkeit und verbessert ihre finanzielle Situation. Aber es ist auch eine Einschränkung. Sie kann nicht mehr so schalten und walten, wie es wäre, wenn sie alleine in dem Haus wohnen würde, welches übrigens für heutige Maßstäbe mit 120 m² gar nicht so groß ist. 


Jedenfalls habe ich dem Freund gesagt, dass ich das vorbildlich finde. Denn es ist ja nun mal ein Problem, das in unserer Gesellschaft der persönliche Anspruch bei der Wohnungsgröße extrem zugenommen hat. Der Mensch ist maßlos, jedenfalls die große Mehrheit von uns. Ich kann mir eigentlich keinen Luxus vorstellen, der nicht zum Standard werden würde, sobald es auch für Menschen mit normalem Einkommen bezahlbar ist.


Die Größe einer Wohnung bemisst sich in den meisten Fällen nicht am Bedarf, sondern am Gehalt. Und so ist es heutzutage ganz normal, dass ein kinderloses Paar eine Wohnung mit 95 m² bezieht – wenn das Gehalt es erlaubt. Oder auch gerne mal an ein Einfamilienhaus, dazu mehr in der nächsten Kolumne.


Um auf das Gespräch mit meinem Freund zurückzukommen. Der hat sich richtig darüber aufgeregt, dass ich das Verhalten meiner Freundin als vorbildlich bezeichnet habe. Er zeigte sich super genervt von dieser Moralisierung. Also, dass man die Leute anklagt, wegen ihres nicht klimaschutzkonformen Verhaltens. Das würde überhaupt zu nichts Positivem führen, eher ganz im Gegenteil, würde das die Aggression gegen Grüne Politik noch verstärken.


Ich war natürlich sehr empfänglich für diese Botschaft. Schließlich habe ich ein Buch mit dem Titel »Schluss mit der Ökomoral« veröffentlicht – welches übrigens kostenlos via Open Access verfügbar ist.


Ich gab ihm also recht, habe aber zugleich klargestellt, aus meiner Sicht sei es besonders bei Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren, nicht unwichtig, ob sie mit gutem Beispiel vorangehen. Gewiss, letztlich geht es um die strukturellen Veränderungen. Die Energiewende kam nicht ins Laufen, weil sich die Menschen in den achtziger Jahren moralisch korrekt verhalten haben, sondern weil Gesetze dazu geführt haben, dass es sich gelohnt hat, zu investieren.


Und auch das Elektroauto wird nicht automatisch zum Massenverkehrsmittel, sondern nur, weil die Europäische Union die Industrie durch die Vorgabe von Standards in diese Richtung drängt. Und eines Tages wird es nur noch Elektroautos beim Händler geben. Und die Menschen tun das richtige, ohne moralische Appelle.


Aber dennoch ist es nicht egal, ob jemand, der sich öffentlich wahrnehmbar für die Verkehrswende engagiert und in seinen Botschaften verbreitet, dass die Zahl der Autos in den Städten abnehmen sollte, weil die Menschen in urbanen Regionen darunter leiden, ob diese Person ein Auto besitzt oder gar einen 2,5 Tonnen schweren SUV.


Darüber machen die Leute sich dann lustig und nehmen diese Person nicht ernst. Werner meinte dazu, es wäre geradezu am besten, wenn ich mit einem fetten Porsche zum Vortrag fahre und dort zugleich dafür werbe, dass politische Rahmenbedingungen es quasi unmöglich machen, ein solches Fahrzeug zu betreiben. So könne man am besten den Eindruck einer moralischen Anklage vermeiden. Das würde mich geradezu am glaubwürdigsten machen.


Damit hat er vielleicht sogar recht, wenn man beispielsweise vor sogenannten Geschäftsleuten spricht. Da lautet die Botschaft quasi: „Ich bin einer von euch, hänge auch an meinem dicken Auto. Daher brauche ich politische Vorgaben, um von dieser Sucht loszukommen.“


Also, ich bin da hin und hergerissen. Meine Erfahrung ist, dass ich fast bei jedem Vortrag gefragt wurde, mit welchem Verkehrsmitteln ich denn gekommen sei, ob ich ein Auto besitze und so weiter. Exemplarisch, mit einer gewissen Empörung in der Stimme: „Ich habe gehört, dass Sie mit einem Wohnmobil im Urlaub waren. Stimmt das?“ 


In meinem Vortrag habe ich 30 Minuten darüber gesprochen habe, es käme nicht darauf an, dass sich die Leute persönlich ethisch korrekt verhalten. Viel wichtiger sei, sich für die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen zu engagieren. Aber diese Botschaft verfängt nur schwer. Quasi intuitiv betrachten die Leute das persönliche Verhalten.


Zurück zu Anfang. Was ist der Unterschied zwischen Ethik und Moral? 


Moral beschreibt die konkreten Regeln und Werte, die eine Gesellschaft oder eine Person für richtig und gut hält. Ethik hingegen ist die wissenschaftliche Reflexion über diese Moral, die sich mit den Grundlagen und Rechtfertigungen moralischer Prinzipien befasst.


Was heißt das nun für mich? Ich weiß nicht genau. Ich kann zumindest für mich feststellen, dass ich die Anklage vom Fehlverhalten für falsch halte. Das macht aus meiner Erfahrung nur schlechte Stimmung und verändert eigentlich nichts.


Zugleich versuche ich, mit gutem Beispiel voranzugehen. Das macht mich in den Augen von bestimmten Milieus zu jemanden, der als radikal wahrgenommen wird. Hingegen machte es mich bei anderen Gruppen, besonders solchen, die sich intensiv für Klimaschutz engagieren, zu einer glaubwürdigen Person.