Tödliche StVO

Bild: dpa/picture alliance
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Am 30. Januar 2024 Uhr starb der Radfahrer Andreas Mandalka auf der Landstraße 574 im Nordschwarzwald. Es war dunkel und um auf sich aufmerksam zu machen trug er eine Warnweste. Ebenso selbstverständlich war für Andreas der Helm. Es hat nicht gereicht, um sich zu schützen. Immer wieder und über Jahre hat er Behörden auf die gefährliche Strecke hingewiesen, mit einem Blog für Reformen geworben. Jetzt ist er tot.


Ich lese diese Nachricht und empfinde eine Mischung aus Trauer, Ohnmacht, Frustration und Wut.


Jetzt kann man sagen, das ist zwar echt tragisch, lässt sich aber nicht vermeiden. Das Leben, besonders im Straßenverkehr ist nun mal gefährlich. Wenn du ganz sicher gehen willst, nimm den Bus oder die Bahn. Oder fahr Auto. Dem Fahrer des Citroën ist natürlich nix passiert. Gewiss, es sterben mehr Menschen im Auto als auf dem Rad. Aber im Verhältnis zu gefahrenen Kilometern sieht das ganz anders aus. So ist die Gefahr, bei einem Unfall zu sterben, auf dem Fahrrad in Deutschland dreieinhalbmal höher als im Auto oder auf dem Motorrad.


Hätte sich der Unfall verhindern lassen? Andreas hätte wohl kaum mehr tun können. Ich trage inzwischen auch eine Warnweste, weil man viel deutlicher und aus größerer Entfernung gesehen wird. Dunkelheit ist gefährlich für Radlerinnen. Besonders auf Landstraßen ohne Radweg. Davon gibt es viele, sehr viele in Deutschland. Nur durch einen getrennten Fuß- und Radweg lassen sich solche Unfälle strukturell verhindern.


Über Jahrzehnte hat man beim Straßenbau kaum an Fußgänger und Radfahrer gedacht. Diese tödliche Fehlplanung kann man nicht auf die Schnelle durch Baumaßnahmen kompensieren. Der Wille ist da. Allenortens bauen die Kommunen und Ländern auch Radwege für ländliche Verbindungen. Auch in Marburg gibt es viele Pläne. Einen Teil haben wir bereits umgesetzt. Aber es zieht sich. Mit jedem Jahr wird die Welt für Radfahrende etwas besser.


Ist das nun alles, was man tun kann? Nein. Es gibt eine ganz einfache Maßnahme, die sofort helfen würde. Tempo 50 für Landstraßen, auf denen bekanntermaßen viele Menschen mit Rad unterwegs sind oder es sein würden, wenn es sicherer ist. Zwischen Dorf und Stadt oder zwischen zwei Dörfern beispielsweise.


Jedoch gibt die Straßenverkehrsordnung den Behörden vor Ort quasi keinen Spielraum. Kurz gesagt, muss erst jemand sterben, bis man Schilder für maßvolle Geschwindigkeiten aufstellen darf. Aber auch nur auf dem betroffenen Abschnitt. Ansonsten darf gerast werden. Mit Tempo 100 auch auf schmalen Landstraßen.


Über ebensolche Straßen fahre ich in Marburg mit dem Rad, zu fast allen Terminen. Mit 70 oder 100 km/h wird man da überholt. Die Winterzeit ist besonders gefährlich. Ich habe mich noch nie so ausgeliefert gefühlt. Zu wissen, dass von hinten die Autos mit Karacho auf mich zukommen. Besonders die Ortskundigen fahren meist sehr schnell und sind genervt vom vielen Fahren, manchmal nicht richtig bei der Sache. Eine kleine Unaufmerksamkeit kann für mich tödlich enden.

Kleine Änderungen an der StVO könnten Leben retten, doch das bürgerliche Lager der Politik verweigert sich. Nicht nachvollziehbar erscheint mir die Haltung von vermeintlich liberalen Politikern der FDP. Was ist freiheitlich daran, den Gemeinden grundsätzliche Entscheidungsmöglichkeiten zu untersagen?

 

Sollte man nicht annehmen, dass Politik und Behörden vor Ort am besten entscheiden können, welche Geschwindigkeit auf welchen Abschnitten angemessen ist? Die StVO macht das Rasen zur Norm. Und gestattet nur bei »qualifizierten Gefahrenlagen« kleine Änderungen bei den Tempovorgaben. Kern der StVO ist, um es pointiert zu sagen, das Recht aufs Rasen. Oder anders gesagt: Die Freiheit der Autofahrenden.


Beispiel Tempo 30: In Marburg gibt es große Einigkeit bei diesem Thema. Wenn es nach uns ginge, würden wir 30 km/h auf vielen Straßen vorgeben, dürfen es aber nicht. Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing spricht sich ganz klar dagegen aus, den Städten diese Entscheidungsfreiheit zu übertragen.


Ginge es zentral um die Freiheit und Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer:innen, wäre die StVO eine andere, wäre die jüngste Reform nicht von der CDU im Bundesrat blockiert worden. Die Vision Zero, also der Traum vom Straßenverkehr ohne Tote, wird mit der Gegenwärtigen Ordnung niemals real werden können. Das Diktat der Geschwindigkeit in der Straßenverkehrsordnung ist tödlich.


Für die Menschen im Auto wurde es durch Airbag und Ähnliches immer sicherer. Im letzten Jahre starben noch 2300 Insassen, knapp 20 Jahre zuvor waren es noch 5400. Bei den gestorbenen Radfahrenden hat sich hingegen nichts geändert. Im Jahr 2022 waren es mit 474 ähnlich viele wie 2004.

Auf Social Media prangerte Andreas Mandalka die Rücksichtslosigkeit auf deutschen Straßen an. Jetzt ist er tot.