Ökomoral kann nerven

Thomas trifft sich mit seinen alten Kommilitonen Jörn und Ulrich zweimal im Jahr zum Wandern. Mit kleinen Unterbrechungen machen sie das schon seit 20 Jahren. Klar, alle haben sich verändert, nicht nur äußerlich. Doch Jörn ist inzwischen etwas anstrengend. Jörn ist ein richtiger »Öko« geworden.


Früher hat ihn die Klimakrise nicht sonderlich bewegt. Doch inzwischen kann er von nichts anderem mehr reden. Fliegen ist jetzt nicht mehr erlaubt. Und wenn Thomas und Ulrich Fleisch bestellen, gibt es gleich eine Predigt über das Leid der Tiere, mit Nitrat verseuchte Böden und abgeholzte Regenwälder in Brasilien.


All das wäre ja gar nicht so schlimm, aber Jörn ist dabei so verbissen. So ernst. Und das nervt. Man hat das Gefühl, ihm fällt es schwer, einfach unbeschwert zu genießen. Und nicht selten macht er mit seinen ökomoralischen Sprüchen die Stimmung kaputt.


Geändert haben Thomas und Ulrich ihre Gewohnheiten und Routinen nicht. Geändert hat sich eigentlich nur, dass sie nicht mehr so viel Lust haben, mit Jörn wandern zu gehen.


Wie könnte Jörn sich von seinem Miesepeter-Image befreien? Zunächst einmal wäre es gut, wenn Jörn für sich klar kriegen könnte, dass die Freunde sich durch sein Genörgel nicht ändern werden. Es genügt völlig, wenn er selbst mit gutem Beispiel vorrangeht. Das wird am ehesten bewirken, dass Thomas und Jörg ihre Routinen etwas ändern.


Gut wäre auch, wenn Jörn sich die Kompetenz aneignen könnte, manchmal einfach fünfe gerade sein zu lassen. Man muss nicht immer alles richtig machen. Nicht bei jedem in Plastik verpackten Käse die Müllkippe in den Weltmeeren beklagen. Das Lamentieren ändert sowieso nichts.


Stattdessen sollte Jörn seine Energie in Engagement fließen lassen. Etwa für bessere Radwege und weniger Parkplätze in seiner Stadt, für bessere Bahnverbindungen oder in die Eröffnung oder Unterstützung eines »Unverpackt« Ladens. Für alle Facetten des Umweltschutzes gibt es Vereine. Dort finden sich Mitstreiter. Zusammen können die Menschen etwas bewegen.


Gut sind konkrete Projekte, die Spuren hinterlassen. Dadurch erfährt Jörn Selbstwirksamkeit. Das fühlt sich gut an und bewegt mehr als verdrießliche Klagen.

»Moralisch ist, wonach man sich gut fühlt. Unmoralisch ist, wonach man sich schlecht fühlt.«
Ernest Hemingway