Ernährungsreport 2018: Die Schule wird’s nicht richten

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) stellte gestern den Ernährungsreport 2018 in Berlin vor. Laut Umfrage wären mehr als 90 Prozent der Deutschen bereit, für artgerechte Tierhaltung auch mehr zu bezahlen. Bis zu zwölf Euro für ein Kilo Fleisch würden nach eigenen Angaben 16 Prozent hinlegen, bis zu 15 Euro 52 und noch mehr 29 Prozent. Zum Vergleich: Ein Kilo Rinder-Biogulasch von Aldi kostet aktuell 11,48 Euro.


Doch die Menschen tun nicht, was sie sagen. In der Realität greifen nur wenige Prozent zur ethisch vertretbaren Ware. Die Forderung des Ministers: Man sollte ein Schulfach »Ernährung« einführen. Das darf man getrost als Ohnmachtserklärung interpretieren. Was sollen die Schulen nicht alles unterrichten, jeder Verband hat da seine spezifischen Forderungen. Digitalisierung ist jetzt immer dabei, aber auch der Umgang mit Finanzprodukten soll unterrichtet werden und sogar Glück wird als Schulfach gefordert. Parallel beklagen sich Unternehmen und Universitäten über die schlecht ausgebildeten Abiturienten. Die Kenntnisse in den Grundfächern seien zu schwach ausgebildet. Mehr Tiefgang und mehr Breite, beides zugleich ist wohl kaum möglich.


Ebenso schwach wirkt die Forderung mancher Kommentatoren nach einer besseren Kennzeichnung der Produkte. Die Konsumenten entscheiden sich nicht deshalb für das billige Fleisch, weil sie so wenig über Bio und artgerechte Tierhaltung wissen. Es wird wohl kaum jemanden geben, an dem die martialischen Bilder aus Industrieställen und die Berichte über das Leid in der Schlachtung vorbeigegangen sind. Doch wir verdrängen die Tatsachen. Billigfleisch ist Routine, auch bei Topverdienern, Ausnahmen bestätigen die Regel. Auf dem 800 Euro Grill liegen Dumpingbratwürste – für 99 Cent im Dreierpack. Das wird schon okay sein, sonst würde der Staat es nicht zulassen.


Die Wahrheit ist wohl eher, dass die Landwirtschaftspolitiker nicht den Mut haben, sich dem Bauernverband und der Agrarindustrie entgegenzustemmen. Was hätten sie denn zu befürchten, wenn sie die Standards etwa für Schweinehaltung schrittweise anheben würden und dafür auf EU-Ebene werben? Es wird doch keiner glauben, dass in Berlin Abertausende auf die Straße gehen und für billiges Fleisch demonstrieren. Nein, am 20. Januar 2018 werden, wie jedes Jahr zur Grünen Woche, wieder mindestens 20 000 Menschen in Berlin demonstrieren und rufen: »Wir haben es satt!«


Die Realität ist, dass sich Standards etwa in der Hühnerhaltung deutlich verbessert haben. Die Auslauffläche ist inzwischen doppelt so groß. Bei den Konsumenten blieb das meistens unbemerkt. Das Produkt an der Ladentheke hat sich  gewandelt, nicht die Mentalität der Kunden. Mit andere Worten: Die Verhältnisse haben sich verändert, nicht das Verhalten. So würde Öko zur Routine. Gefragt sind mutige Politiker und Menschen, die bessere Standards für alle einfordern, statt lediglich mehr Bildung oder besser Informationen zu fordern.

 

Vermutlich gibt es dafür mehr Rückhalt als viele denken: Erst vor Kurzem erklärt Philipp Skorning, Chefeinkäufer bei Aldi Süd, er würde höhere Standards, am besten EU-weit, begrüßen. Über die nächsten 20 Jahre könnten wir zu 100 Prozent auf Biolandwirtschaft umstellen. Das wäre das Ende der Zweiklassengesellschaft am Mittagstisch. Dafür lohnt es sich auch, mal an einer Demo in Berlin teilzunehmen.