Arbeiten

Zur Ökoroutine gehört auch, so verblüffend es klingen mag, ein Wandel der Arbeitswelt. Sie ist ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft. Und seit die Menschen vom Land in die Städte zogen und ihre Höfe verließen, um für Lohn in Fabriken zu arbeiten, empfinden sie Arbeitslosigkeit als eine fast ebenso existenzielle Bedrohung wie schlechtes Wetter für die Ernte. Die Solidargemeinschaft sorgt zwar dafür, dass Arbeitslose eine Grundsicherung erhalten, mit der das Notwendigste besorgt werden kann. Doch wer für längere Zeit auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen ist, obgleich im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte, fühlt sich rasch ausgegrenzt, hoffnungslos und resigniert.

 

Da verwundert es kaum, wenn sich die meisten Schlagzeilen der Tageszeitungen im Kern um das Thema Erwerbsarbeit drehen: Aufstieg und Fall von Unternehmen, Innovationen, Kündigungen, Wirtschaftswachstum oder die Finanzmärkte.

 

Daher wollen die politischen Entscheidungsträger für jeden umweltpolitischen Maßnahmenvorschlag wissen, welche Auswirkungen dieser für den Arbeitsmarkt hat. Deswegen gibt es hierzulande kein Tempolimit. Deutschland ist für seine Raserei auf den Autobahnen weltberühmt. Ein Limit könnte diesen Status gefährden und damit auch die Verkaufszahlen der Automobil-industrie, so die Befürchtung. Aus dem gleichen Grund begünstigt das Klimaschutzlabel besonders schwere Fahrzeuge und gibt es immer noch einen Steuerbonus für Dieselkraftstoff, auch wenn dessen Nutzen für den Umweltschutz schon lange wiederlegt ist. Bedrohlich für den Arbeitsmarkt ist ebenfalls CarSharing, weil es den Kraftwagenabsatz deutlich verringern könnte. Schließlich erübrigt ein Teilauto leicht sechs Fahrzeuge. Und das hätte natürlich Konsequenzen für das Jobangebot.

 

Es ist schlichtweg so, dass Klimaschutzkonzepte immer dann scheitern, wenn sie die Arbeitslosigkeit eventuell erhöhen könnten. Aus der gleichen Logik gelten negative Auswirkungen auf das Wachstum als inakzeptabel. Mit anderen Worten: Ohne den Wandel der Arbeitswelt, bleibt Ökoroutine ein kühner Traum. Ökoroutine möchte daher kürze Arbeitszeiten etablieren, um Jobverluste aufzufangen und den ressourcenintensiven Wachstumsdruck zu überwinden. Es wäre ökologisch gesehen günstig, wenn ein nennenswerter Teil der Gesellschaft seine wöchentliche Lohnarbeit zugunsten pflichtenfreier Zeit verringert, also beispielweise von 40 auf rund 30 Stunden. Es wird womöglich auch sozial- und wirtschaftspolitisch sinnvoll sein, auf die Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung mit gerechter verteilten Arbeitszeiten zu reagieren.

 

Das wird nicht von allein geschehen, denn der Arbeitsethos, wonach lange Arbeitszeiten den gesellschaftlichen Status markieren, ist sozial-kulturell tief verwurzelt. Inzwischen werden jedoch kürzere Erwerbsarbeitszeiten – nicht allein unter jungen Müttern oder Älteren – populärer. Dieser Trend lässt sich stärken durch eine kluge Kombination von steuerlichen Anreizen, Arbeitszeitgesetzen und Kampagnen, damit kürzere Arbeitszeiten allmählich zur Routine werden.

 

Mehr Arbeit, höherer Ressourcenverbrauch

 

Für eine ausgewogenere Balance zwischen Arbeit und Freizeit spricht nicht nur die Abkehr vom Wachstumsdogma. Kürzere Arbeitszeiten entschärfen das Problem der Arbeitslosigkeit und den Konflikt zwischen Arbeit und Umwelt. Der Streit um Arbeitsplätze wird in Deutschlands Städten und Gemeinden täglich ausgefochten: Jeder fragwürdige Gewerbepark, Ausbau von See- und Flughäfen, Neu- und Ausbau von Straßen, die Flussvertiefung etc. – kein ökologisches Bedenken scheint schwerer zu wiegen, als das Argument »ja, aber das schafft Arbeitsplätze«. Durch die allseitige Standortprofilierung befinden sich die Kommunen in einer zerstörerischen Wettbewerbsspirale. Selbst für den klimapolitisch unvertretbaren Ausbau des Braunkohletageabbaus sind sich Politiker nicht zu schade, auf das »enorme« Arbeitsplatzpotenzial hinzuweisen, obgleich das Gegenteil der Fall ist und durch erneuerbare, dezentrale Energien und Energieeinsparinvestitionen wesentlich mehr Jobs entstehen.

 

Dem Beschäftigungsargument stehen die politischen Entscheidungsträger geradezu ohnmächtig gegenüber. Eine gezielte Politik für kürzere Arbeitszeiten trägt maßgeblich dazu bei, den Konflikt »Umweltschutz versus Arbeitsplätze« zu entschärfen. Nur so lässt sich vermeiden, dass weitere Arbeitsplätze in Wirtschaftszweigen »geschaffen« werden, die den Raubbau am Planeten beschleunigen.

 

Weniger Lohn, weniger Verschwendung

 

Wenn die Menschen weniger arbeiten und verdienen, kaufen sie auch weniger überflüssige Produkte. Das verringert auch den Energieverbrauch. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Arbeitszeitverkürzungen das Konsumverhalten verändern und der Ressourcenverbrauch zurückgehen kann. Beispielsweise kommt eine Simulation der Ökonomen Axel Schaffer und Carsten Stahmer mit dem Titel »Halbtagsgesellschaft« zu dem Ergebnis, dass sich Klimagase und Schadstoffe im gleichen Maß verringern, wie die Arbeitszeit. Wenn wir also im Schnitt neun Prozent weniger arbeiten, gehen auch die Emissionen um neun Prozent zurück. Bei einer geringeren Zahl von Fahrten zum Arbeitsplatz – wenn wir zum Beispiel vier statt fünf Tage pro Woche arbeiten – reduzierten sich auch die verkehrsbezogenen CO2-Emissionen.

 

In die gleiche Richtung weist eine Untersuchung der US-amerikanischen Ökonomin Juliet Schor in verschiedenen OECD-Staaten. Ihr zufolge ist der ökologische Fußabdruck um so kleiner, je weniger Arbeitsstunden ein Erwerbstätiger leistet. Auch Rosnick und Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research in Washington stellen fest: Mehr Arbeitsstunden schrauben in der Regel auch den Energieverbrauch in die Höhe. Entscheidend ist dabei das Einkommen. Menschen mit einer Teilzeitstelle verdienen weniger als mit einer vollen Stelle. Wer weniger verdient, kann weniger ausgeben. Und wer mehr Zeit hat, kann zum Beispiel selbst das frische Gemüse verarbeiten und gar selbst anbauen, statt es tiefkühlfertig zu kaufen. Sämtliche Fertigliebensmittel sind vergleichsweise Energie aufwendig. Es kostete Zeit, zu kochen, die Wäsche aufzuhängen und zu radeln. Viele Konsumfelder existieren, weil sie Zeit sparen.

 

Den Zusammenhang von Einkommen und Naturverbrauch untermauern die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Das ist die umfangreichste statistische Untersuchung des Statistischen Bundesamtes. Den Daten zufolge verbrauchen Armutshaushalte im Schnitt am wenigsten Energie. Mit dem Wohlstand hingegen wächst der Energieverbrauch. Spitzenverdiener verbrauchen im Vergleich zu den ärmsten Haushalten dreimal so viel Energie.

 

Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass einkommensarme Haushalte vergleichsweise viel Energie verbrauchen, weil sie sich keine sparsamen Geräte leisten könnten und sich wenig Gedanken über ihren Energieverbrauch machten. Tatsächlich zeigen lokale Untersuchungen, dass Arme weniger Strom verbrauchen und in kleineren Wohnungen leben. Deshalb ist auch ihr Wärmebedarf geringer. Interessant ist auch der Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland. Hier belegen die Zahlen ebenfalls, dass Menschen mit geringem Einkommen vergleichsweise wenig Strom konsumieren. Ein durchschnittlicher Haushalt in Ost-Deutschland verbraucht zwischen elf und 14 Prozent weniger Strom als in West-Deutschland.

 

Dieselbe Logik ergibt sich für das Reisen mit Bus, Bahn, Auto und Flugzeug. Der CO2‑Rucksack vergrößert sich in der Regel mit dem Einkommen. Betuchte Menschen unternehmen nicht selten jedes Jahr einen Interkontinentalflug, verfügen über Zweit- und Drittwagen und besitzen vergleichsweise häufig extrem schwere und verbrauchsintensive Fahrzeuge. Sie tun es, weil sie es können.

Mit dem Wohlstand wächst der Energieverbrauch. Die Spitzenverdiener verbrauchen im Vergleich zu den ärmsten dreimal soviel Energie – auch unterschieden nach Haushaltsgröße
Mit dem Wohlstand wächst der Energieverbrauch. Die Spitzenverdiener verbrauchen im Vergleich zu den ärmsten dreimal soviel Energie – auch unterschieden nach Haushaltsgröße